„Schleichendes Gift“


von Lieselotte Ahring

In den Fünfziger Jahren hatte das Kino ja noch eine ganz andere Bedeutung als heute: Junge Paare gingen zusammen ins Kino, weil sie sonst kaum einen Ort hatten, wo sie Zeit miteinander verbringen konnten. Wer hatte schon ein eigenes Zimmer oder gar eine eigene Wohnung?

Als ich, das muss so 1956 gewesen sein, an meinem Arbeitsplatz, in einer Bank in Hamburg, einem Kollegen ein Dokument zur Unterschrift vorlegte, „erpresste“ er mich: „Nur, wenn Sie mit mir ins Kino gehen.“ Ich mochte ihn, also sagte ich zu. Den Film suchte er aus: SCHLEICHENDES GIFT (AT 1946, Regie: Hermann Wallbrück) in einem Barmbeker Kino, er fand, das klinge nach einem spannenden Krimi. Das Internet, wo man sowas heute leicht recherchieren kann, gab es damals ja noch nicht und der Kollege hatte auch keine Filmzeitschriften abonniert – ein Fehler, wie sich bald herausstellte. Wir machten es uns im Kinosessel gemütlich, genossen die Wochenschau und dann begann der Film: Schon nach wenigen Minuten starrten wir uns entsetzt an, beide schamrot und peinlich berührt, denn der vermeintliche Krimi erwies sich als ziemlich schonungsloser Aufklärungsschocker über Geschlechtskrankheiten, mit grausigen Aufnahmen der Folgen von Gonorrhö bis Syphilis. Später erfuhr ich, dass der Film in Österreich aufgebrachte Debatten im Parlament auslöste und in Tirol sogar verboten wurde.

Ich glaube, wir sind dann Essen gegangen. Den Kollegen habe ich später trotzdem geheiratet.

Er hatte kein gutes Händchen mit dem Kino, obwohl er sehr gerne Filme sah, am liebsten Western und Krimis, aber auch für Heimatfilme hatte er eine Schwäche. Eine verhängnisvolle, wie sich herausstellte. Denn als ich in den 70er Jahren, inzwischen waren wir nach Süddeutschland an die Schweizer Grenze gezogen, den Wunsch äußerte, einmal wieder ins Kino zu gehen, besorgte mein Mann umgehend Karten für ein Kino im nahen Basel. Er fand, der Titel klinge verheißungsvoll: UNTERM DIRNDL WIRD GEJODELT (BRD 1973, R: Alois Brummer) und dachte dabei wohl an grüne Landschaften, die Alpen, Kühe, heile Familien und ein harmonisches Ende. Doch seine Wahl stand wieder nicht unter einem guten Stern, denn das Kino war in Basel einschlägig bekannt und wir haben nie erfahren, wie der Film ausging. Schon nach wenigen Minuten eilten wir prustend aus dem Sex-Kino. Mein Mann konnte von Glück sagen, dass ich Humor habe, oder?

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