„Film verbindet“


von Winfried Nacke

GERMINAL (FR/BE/IT 1993, R: Claude Berri) ist einer der Filme, die mein Leben nachhaltig verändert haben. Warum? Im Frühjahr 2004 hatte ich ihn mir mit einer Gruppe Auszubildender angeschaut, die Industrialisierung und Bergbau in Sozialkunde durchnahmen und dabei waren, Stories aus ihrem persönlichen Leben in eine Filmstory umzusetzen. Meinen Vater, ehemaliger Fahrsteiger und wegen eines Unfalls unter Tage seit 1968 berufsunfähig, fragte ich, ob er als Gesprächspartner und Zeitzeuge mitkommen und nach dem Film für Fragen zur Verfügung zu stehen wollte. Er willigte ein.

Wir sahen den Film in einer Nachmittagsvorstellung und gingen anschließend schwer beeindruckt in das Hinterzimmer eines Lokals. Was dann passierte? Mehr als umwerfend und bewegend! Bis kurz vor Mitternacht beantwortete mein Vater zaghaft, teilweise mit unterdrückter Stimme, sehr ausführlich und bewegend die Fragen der Auszubildenden. Von anfänglichen Fragen zu Gerätschaften und Techniken ging es mehr und mehr um persönliche Erfahrungen und Empfindungen, was in sehr emotionale und ergreifende Schilderungen mündete.

Von dieser Seite hatte ich meinen Vater noch nicht erleben können und dürfen. Die jungen Leute fragten bohrend, wissbegierig und auch voller Bewunderung, denn der Arbeitsalltag, den mein Vater schilderte, war packend, hautnah und ohne Pathos. Die Wucht und Härte der Arbeit unter Tage des 1940 15jährigem bis 1967 war ohne Umschweife und in ihrer ganzen Breite zu spüren. Mir blieb im wahrsten Sinne des Wortes die Spucke weg.

Meine Auszubildenden waren völlig beeindruckt und voller Respekt und Bewunderung für meinen Vater. Und ich? Diese Seite hatte ich vorab noch nie bei ihm gesehen, ich hatte mir eher immer eine kritische Reflexion seiner Vergangenheit gewünscht! Warum er nicht dies, das und jenes getan habe? Unser Verhältnis war unterkühlt und ewig distanziert. Das sollte sich ändern: Nach dem Film bat ich ihn, mit mir eine Reise ins Ruhrgebiet zu unternehmen, zu den Orten, die für ihn wichtig waren und wir fuhren. Wir sind sogar gemeinsam 1000 m tief eingefahren. Ein Bekannter, der noch bei einem Bergwerk arbeitete, konnte es ermöglichen. Unser Verhältnis änderte sich von Tag zu Tag, ja es bekam Züge von starker Vertrautheit, tiefem Respekt und Zuneigung. Wir hatten uns ganz einfach nach diesem Film sehr viel mehr zu sagen, in jeder Hinsicht und wir erlebten noch ganz schöne, feine Zeiten gemeinsam!

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